Bischof Stecher Gedächtnisverein

Hirtenbrief zur Adventopferaktion "Bruder in Not"

15. November 1985

Liebe Gläubige!

Es fällt mit gar nicht leicht, alljährlich das Anliegen „Bruder in Not" vorzubringen. Aber gerade weil diese Bitte immer ein so großes Echo gefunden hat und doch auch eine gewisse Zumutung darstellt, müssen alle Verantwortlichen für dieses Unternehmen dafür sorgen, dass „Bruder in Not“ die bewährte Kombination von Liebe, Weite, Korrektheit und Hausverstand bleibt. Hierin liegt doch der Grund, dass „Bruder in Not“ in einem so hohen Maße das Vertrauen der Menschen gewonnen hat.

Unsere Bereitschaft zu helfen muss immer aus einer echten Haltung der Liebe .kommen. Wenn wir nach der Brieftasche greifen, sollte das nicht mit der Geste einer lästigen Pflichterfüllung geschehen, und auch nicht mit der eines gönnerhaften Hochmuts. Wir sollten es mit dem Blick auf den gütigen Gott tun, dessen Erbarmen wir alle brauchen, und mit einer Haltung der tiefen Achtung vor jenen armen Völkern, die ja sehr oft größere innere Reichtümer der Menschlichkeit besitzen, die bei uns seltener sind.

Die Aktion „Bruder in Not“ ist immer von einer großen Weite geprägt gewesen, und so sollte es auch bleiben. Der Nächste ist der, der Hilfe braucht. So hat es Christus selbst definiert. „Bruder in Not“ fragt nicht nach Hautfarbe, Staatsbürgerschaft, Parteibuch oder Taufschein. Der einzige Ausweis, nach dem gefragt wird, ist die Hilfsbedürftigkeit.

Ein Punkt, auf den die Spender mit Recht Wert legen, ist die Korrektheit des Unternehmens „Bruder in Not“. Das heißt, dass die Projekte, die ja aus aller Welt zusammenfließen, sorgfältig geprüft werden, dass man nach der möglichen Eigenleistung der Betroffenen fragt, dass für die Verwaltung der sparsamste Aufwand gelten muss, und dass es auch eine wirksame, wenn auch nicht misstrauische Überwachung der gestellten Aufgaben geben soll. Wenn von Zeit zu Zeit Großprojekte in Übersee überprüft werden, dann werden übrigens die Reisekosten des Fachmannes nicht aus den Bruder-in-Not-Mitteln finanziert.

Und schließlich will diese Aktion Hilfe mit Hausverstand bieten. In besonderer Weise wird also Hilfe bevorzugt, die die Bedürftigen befähigt, sich selber zu helfen. Das ist der Grund, warum Schulungsprojekte in den Vordergrund rücken. Es nützt wenig, Maschinen oder Pumpen zu liefern, wenn drüben niemand die Anweisungen zur Handhabung lesen kann, weil es fast nur Analphabeten gibt. Es bringt nicht sehr viel, Getreide zu verteilen, wenn verbesserte Anbaumethoden unbekannt bleiben. Und die teuren medizinischen Instrumente und Medikamente bleiben ungenützt, wenn es kein geschultes Personal für Pflege und Gesundheitsdienst gibt. Darum sind auch die heurigen Projekte vornehmlich nach diesen Gesichtspunkten ausgewählt.

1. Das erste Projekt betrifft Äthiopien. Es geht dabei um die Ausbildung einheimischer Mitarbeiter im Kranken- und Gesundheitsdienst in einem Hospital in der Provinz Shoa. Es ist eines der ärmsten Gebiete der Erde. 60 Prozent der ungefähr eine Million zählenden Einwohner müssen mit einem Monatseinkommen von 100 Schilling leben. Das Attat-Hospital ist so etwas wie eine Insel der Hoffnung. Mit diesem Projekt betreten wir übrigens die Spuren einer der großartigsten Frauen Tirols, der Mutter Anna Dengel aus Steeg im Lechtal. Das genannte Spital, das ganz in ihrem Sinne immer mehr von einheimischen Fachkräften übernommen werden soll, wird von den Missionsärztlichen Schwestern geleitet, die sie gegründet hat.

2. Auch das zweite Projekt schlägt eine Brücke zu zwei Tiroler Missionären. Die beiden Herz-Jesu-Missionäre P. Hans Schmid und P. Hans Zangerle aus dem Paznaun arbeiten in der Pfarre Belmonte in Brasilien. Die Pfarrei ist etwa halb so groß wie Nordtirol. Über die sozialen Zustände in Brasilien sind nähere Erklärungen überflüssig. Bischof Kräutler sowie die sozial engagierten Kardinäle Arns und Lorscheider sind in unserer Heimat bekannt. Auch in Belmonte geht es um eine Hebung der menschenunwürdigen Verhältnisse des Großteils der Bevölkerung. Und auch hier ist das wichtigste Erfordernis ein Bildungszentrum, das von Katechistenausbildung bis Hygieneschulung, vom Abc-Unterricht bis zum Nähkurs alle Hilfen bieten soll. Nur auf diese Weise kann eine Verbesserung der Lage auf weite Sicht erreicht werden. Die Errichtung dieses Zentrums für die Riesenpfarre wird übrigens etwa so viel kosten wie ein Kirchendach oder eine kleine Orgel in Tirol.

3. Das dritte Projekt gilt der Formung von Menschen, die imstande sind, für das öffentliche Wohl Verantwortung zu tragen. Als ich vor zwei Jahren bei der Weltbischofssynode war, saß neben mir auf der Bank ein stiller Mann, der offenkundig andere Sorgen hatte als ich. Während er da in Rom den Debatten lauschte, schlugen neben seinem Bischofswohnsitz die Granaten des Bürgerkrieges ein. Er war aus dem Land, in das unsere Hilfe gehen soll, aus dem Tschad. Es ist ein fast vergessenes Gebiet im Herzen Afrikas. Das Land hat aus der Kolonialzeit chaotische Grenzziehungen und Zustände übernommen, und was es am nötigsten braucht, sind geschulte und geformte Christen, die öffentliche Verantwortung übernehmen können, damit man das Elend und Chaos besser überwinden kann. In unseren Ohren mag ein derartiges Projekt merkwürdig klingen, aber in einem Staatswesen, in dem die fundamentalsten Voraussetzungen für ein friedliches und geordnetes Miteinander fehlen, werden ganz andere Probleme brennend als bei uns.

Das sind unsere diesjährigen Aufgaben für „Bruder in Not“. Natürlich sind es nicht die einzigen. Aber sie wurden in den Vordergrund gereiht, weil sie drängende und weitreichende Unternehmen umfassen. Sie verlangen von uns allen die eingangs erwähnten Haltungen der Liebe, der Weite, der Korrektheit und des Hausverstandes, der über das Heute hinausdenkt.

Christus wird unseren guten Willen sehen und segnen. Und er weiß, dass wir in unseren Breitengraden eine andere Entwicklungshilfe benötigen, eine Hilfe für unsere oberflächlichen, verwirrten und manchmal bedrückten Herzen. Und er wird uns allen diese Entwicklungshilfe auch gewähren, gerade in diesen Tagen des Advent, in denen wir darauf warten, dass sich der Himmel zur Erde neigt.

Im voraus dankend, wünsche ich allen eine gesegnete Zeit!

 

Innsbruck, 13. November 1985

Reinhold Stecher

Bischof von Innsbruck

 

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